ERCO - Licht im Blut

  • Interview
  • Veröffentlicht am 16.05.2016
ERCO - Licht im Blut

ERCO Designer Holm Gießler über die Ästhetik des Minimalismus und den Versuch, Leuchten verschwinden zu lassen

Eine sauerländische Stadt am Rande des Ruhrgebiets hat neben „Regenscheid“ noch einen weiteren Namen: „Stadt des Lichts“. Den ersten verdankt Lüdenscheid dem häufig schlechten Wetter, den zweiten unter anderem dem guten Licht von ERCO. Das Unternehmen hat mit seinen Architekturleuchten Designgeschichte geschrieben, mit namhaften Designern zusammengearbeitet. Noch heute werden Klassiker wie die Schreibtischleuchte „Lucy“ aus den 1970ern im Internet hoch gehandelt. Doch auch aktuell strahlt das Familienunternehmen mit seiner Lichtgeschichte weit über die Grenzen des Sauerlandes hinaus. Mit der Umstellung auf LED-Technologie bedurfte es auch einer Anpassung des Designs. Wieder heimst ERCO dafür zahlreiche Preise ein („London Design Awards", „DDC Deutscher Designer Clubs“, „Good Design Awards“) und im vergangenen Jahr bekam ERCO vom Deutschen Designerclub den Grand Prix für das Unternehmen des Jahres verliehen. Holm Gießler, 39, hat in Essen Industriedesign studiert, danach in einer Agentur gearbeitet. Schon während seines Studiums hat er ein Praktikum bei ERCO gemacht, inzwischen ist er einer von drei Designern in der ERCO Produktentwicklung.


Was magst du an den Leuchten von ERCO?
Holm Giessler: Auf der einen Seite die technische Ästhetik und auf der anderen Seite die ausgewogene Proportion. Eine scheinbar einfache Proportion, die technisch und trotzdem elegant ist. Man kann die Leuchten sehr lange anschauen, auch Leuchten älterer Serien. Ich selbst habe auch eine Stromschiene bei mir zu Hause mit ein paar ERCO Klassikern daran und sehe sie mir gerne an. Es ist eben kein auftragendes Design, sondern ein Design das sich der Architektur unterordnet. Die Leuchten müssen ja sowohl in sakralen Gebäuden funktionieren, als auch im Shop von Prada oder im Dom von Mailand.

Hast du eine klassische Lieblingsleuchte? Eine, die du selbst gerne hättest?
Ich habe die Lucy geschenkt bekommen, von meinem Vorgänger zum Abschied, und finde sie noch immer sehr, sehr schön. Schon im Praktikum während des Studiums bei ERCO habe ich gedacht, ich bräuchte mal eine Lucy. Trotzdem ist diese Gestaltung nicht mehr zeitgemäß, weil die LED-Technologie inzwischen für Arbeitsplatzleuchten ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten zulässt.

Hast du denn auch bei den neuen Produkten schon eine Lieblingsleuchte?
Die neue Lucy. Weil wir es geschafft haben, die Arbeitsplatzleuchte neu zu denken. Der Prozess führte weg von der zweiarmigen, verstellbaren Leuchte, hin zu einer LED betriebenen Leuchte, die nur noch ein Art Stab ist. Das Licht wird blendfrei auf die Arbeitsfläche gelenkt. Lucy hat eben alles, was eine Arbeitsleuchte braucht: man kann sie verstellen, man hat das Licht an der richtigen Stelle und gleichzeitig ordnet sie sich ideal zeitgemäßer Büroarchitektur unter und scheint dabei selbst im Raum zu verschwinden.

Das stimmt, die ERCO Leuchten bestechen insgesamt durch ihre Schlichtheit. Ist deine Arbeit eher technisch oder kreativ? Beziehungsweise wie hoch ist der kreative Anteil bei einem Produkt wie einer Leuchte?
Es ist eine Mischung. Ein kreativer Anteil ist natürlich immer da, wenn man die Leuchten gestaltet – und auch bei der Umsetzung, wenn man auch auf die Konstruktion Einfluss nimmt. Jedoch ist der technische Anteil sehr hoch, weil man natürlich so tief wie möglich inhaltlich in die Technik einsteigen muss, um die Leuchte ideal zu gestalten. Wichtige Themen sind zum Beispiel die Lichttechnik, das Wärmemanagement sowie die Modularität der verwendeten Bauteile.

Wie oft ist denn deine Kreativität überhaupt gefragt?
Schon 2015 hat ERCO den kompletten Wandel zur LED vollzogen. Es wurden 65 Leuchten und 5000 Produkte überarbeitet. Und der Wandel zur LED hat natürlich auch einen Riesen-Ausschlag gegeben in der Gestaltung. Auf einmal wurden die Leuchten flacher, es ging viel stärker um gutes Wärmemanagement und präzise optisch Systeme. Das war ein Schritt für ERCO. Das ist immer noch ein Riesenschritt in der ganzen Leuchtenindustrie. Diesen Wandel kann man vergleichen mit dem, was die Autoindustrie mit der Elektromobilität vor sich hat.

Was hat sich speziell für dich verändert, seit du nicht mehr in einer Agentur, sondern direkt in einem Unternehmen arbeitest?
In der  Agentur war ich für unterschiedliche Kunden tätig. Vom Skihelm, Fahrradwerkzeug bis hin zu Badaccessoire war die Bandbreite der zu gestaltenden Produkte recht groß. Von der Konzeption, dem Entwurf bis zur technischen Ausarbeitung betreute ich zwar die Produkte bis zur Marktreife. Die Prozesse innerhalb der Unternehmen waren für mich bis dahin jedoch eher theoretischer Natur. Bei ERCO ist das Besondere, dass wir die Lichtwerkzeuge in Lüdenscheid entwickeln und produzieren. Dieses Wissen vor Ort hat enormen Einfluss auf die Qualität der gestalteten Produkte. Durch kurze Wege und regen Austausch mit den einzelnen Fachabteilungen können wir ein hohes Innovationstempo vorlegen und Produkte von ihrem Ansatz komplett neu denken.

Wie kommt es, dass man in einer eher kleinen Stadt wie Lüdenscheid so sehr am Puls der Zeit ist?Immerhin ist Lüdenscheid die Stadt des Lichts. Sie hat ja eine hohe Dichte an Firmen aus der metallverarbeitenden Industrie. Zusammen mit dem Kunststoffinstitut und der Fachhochschule Südwestfalen bietet Lüdenscheid und das Sauerland ein ideales Umfeld für Wissensaustausch. Das betrifft auch die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern für ERCO. Der Standort liegt zwischen Frankfurt und dem Ruhrgebiet, man ist schnell in Düsseldorf, in Dortmund bei Ausstellungen, Messen. Wenn man Fragen hat, ist immer jemand im Haus, der sich in dem Fachgebiet auskennt und das ist superwichtig für die Entwicklung der Leuchten.

Also wird das Sauerland designmäßig unterschätzt?
Vielen ist sicherlich gar nicht so bewusst, was für eine Bandbereite und Dichte an innovativen Firmen im Sauerland existieren. Das wird einfach unterschätzt. Ich glaube nicht, dass das Sauerland da hinten ansteht. Ganz im Gegenteil.

Wie groß ist denn die Chance für junge Designer, bei ERCO arbeiten zu können? Oder ist das nur eine kleine, feine Designabteilung, für die nur alle zehn Jahre ein neuer Mitarbeiter gesucht wird?Wir sind momentan ein Team von drei Designern, das von Henk Kosche geleitet wird. Aber es gibt ja nicht nur unsere Abteilung. Gerade im Marketing und Vertrieb arbeiten auch Designer und Architekten, die Lichtaffinität besitzen und sozusagen „Licht im Blut“ haben.

Kannst du deine Handschrift mit einbringen? Gibt es irgendwas, woran dein Herz besonders hängt?
Ich versuche, eine Leuchte aus ihrer Anforderungen heraus zu gestalten. Dabei liegt mir der Gestaltungsansatz von ERCO – er ist zurückhaltend und doch prägnant. Ein extraordinäres Design würde mir gar nicht liegen. Ich finde es schön, dass bei ERCO alles eine gewisse minimalistische Ästhetik hat.

Wie wichtig ist richtiges Lichtdesign für dich auch privat? Wenn du in einen Raum kommst, schaust du da sofort nach oben? Und kannst du es aushalten, wenn etwas nicht stimmt?
Ich mag es nicht gerne, wenn ich in schlecht beleuchteten Cafés oder Bars bin. Oder schlecht ausgeleuchtete Hotelflure entlang gehen muss. Ganz explizit ist es aber in Cafés, wenn da nicht für eine Situation gesorgt wird, in der man ein gutes Gespräch führen kann. Neonröhren an der Decke, die dann so eine allgemeine Helligkeit und diffuses Licht fabrizieren. Das finde ich schrecklich.

Kannst du dich da zurückhalten? Oder hast du auch schon mal einen ERCO Prospekt vorgelegt?
Klar, man spricht das mal an, wenn sich die Möglichkeit ergibt.