Martin Kiel entwickelt mit seiner Beratungsfirma the black frame innovative Geschäftsmodelle im laufenden Betrieb
Beratung und Begleitung von Unternehmen machen heute einen großen Anteil der Arbeit von Codecentric aus. Also unternehmerische Zukunftslösungen und nicht nur die individuellen Softwarelösungen, mit denen das Unternehmen seit Jahren Erfolg hat. Codecentric am Hohen Wall 15 in Dortmund ist dabei eine von 14 nationalen und internationalen Niederlassung der Software- und Beratungsfirma aus Solingen. Der Dortmunder Ableger kann aber mit einem besonderen Extra dienen: Dem hauseigenen „Think & Do Tank“ The Black Frame. In einem ehemaligen Ladenlokal am Wall denken Martin Kiel und seine Kollegen nach außen sichtbar und jederzeit gesprächsbereit Digitalisierung und Kreativität, Innovation und Marktpotential weiter und anders. Martin Kiel, Standortleiter Dortmund des Softwareunternehmens Codecentric, wirft zur Einstimmung eine Präsentation an die Wand: Kunst trifft Mode trifft Coding. Draußen vor der Tür des Ladenlokals mit bodentiefen Fenstern direkt am sechsspurigen Cityring in Dortmund rauscht derweil der Verkehr. Drinnen reden wir über Kreativität und „immersives Lernen“ - die Methode, mit der Codecentric Kunden hilft, innovative Prozesse im Unternehmen anzustoßen und neue Geschäftsfelder zu erschließen.
DMR: Ein aktuelles Projekt von Codecentric ist die „Digitale Werkbank“. Was verbirgt sich dahinter?
Martin Kiel: Das ist eine Kooperation mit der Wirtschaftsförderung Dortmund. Es geht gewissermaßen auch um die Haptik der Digitalisierung und die große Frage, wie entsteht eigentlich Neues? Eine Frage, die uns in all unseren Projekten ja beschäftigt. Die Digitale Werkbank trägt vieles in sich, das wir auch mit The Black Frame tun: Also, wie finden wir eine neue Ansprache, um Unternehmen zu Experimenten zu ermutigen und Projekte schnell, innerhalb von drei Monaten, in eine Testphase eintreten zu lassen. Codecentric ist die Plattform vor Ort, die Projekte werden aber gemeinsam mit den Unternehmen entwickelt. Das soll alles gerade nicht von oben herab, nach dem Motto „So geht Digitalisierung“, ablaufen.
Ihr werdet vermutlich noch immer vor allem als Softwarefirma wahrgenommen. Wie kommen Kunden zu Codecentric, die neue Geschäftsfelder finden wollen?
Das passiert meist auf zwei Wegen. Da möchte jemand zum Beispiel seine Service Architektur für den Onlineshop umstellen. Wir überlegen dann erst mal grundsätzlich: Ist das überhaupt das Problem des Kunden? Unser Ansatz beginnt immer mit dem Geschäftsmodell, nicht mit der Technik. Dafür entwickeln wir zusammen Experimente, um die Thesen zu validieren. Wir verstehen uns mit The Black Frame also nicht nur als Think-Tank, sondern im besonderen Maße auch als „Do-Tank“. Reale Experimente in einer realen Geschäftswelt, die überprüft werden, um zu sehen, ob eine Idee funktioniert. Dem Kunden zeigen, dass er den Prozess aus dem Vorhandenen heraus selbst managen kann. Ja, ihn geradezu wieder in Fähigkeit setzen, das selbst zu tun. Denn das Neue will vielleicht erstmal an die Hand genommen werden, obwohl es am Ende immer die Kunden sind, die es umsetzen. „Managing the new“, nennen wir ein Format dazu im Arcadeon in Hagen.
Was ist denn genau eure Methode?
Wir fanden, dass Designthinking inzwischen zu einem Ritual geworden ist, immer dann opportun, wenn ein Unternehmen meint, es brauche jetzt Innovation und Kreativität. Aber auch diese Methode folgt bestimmten Pattern und mehrschrittigen Praktiken, bewegt sich also in einem Rahmen. Und vor allem: die Methode zeitigt so gut wie nie im direkten Sinne greifbare Ergebnisse - außer der Post-it übersäten Wände. Und da kommen wir mit unserer Idee vom Maker Thinking: Warum starte ich nicht zum Beispiel damit, meinen Markt ethnografisch, draußen vor Ort zu erkunden und dabei zu lernen, was ich brauche und was ich tun könnte, statt in irgendeinem neutralen Raum alles nur theoretisch durchzuspielen. So fangen wir immer an. Es geht beim Maker Thinking um „immersives Lernen“.
Schildere doch bitte mal ein konkretes Projekt.
Die DEVK Versicherung wollte zum Beispiel ein neues Produkt entwickeln. Mehr wussten die erstmal nicht. Sie sind durch das Angebot „In 12 Tagen ein neues Geschäftsmodell“ dann auf uns gekommen. Wir entwickelten in drei Teams drei verschiedene Versicherungsideen. Eine der Ideen war eine moderne Fahrradversicherung und konnte sich innerhalb des Konzerns gegen weitere Ideen durchsetzen. Danach haben wir zusammen mit dem Gründer das Produkt im Detail entwickelt. Begonnen haben haben wir im Feld, also im Markt, und sind Fahrrad gefahren, um zu Erkenntnissen zu gelangen: Über das Radfahren in der Stadt, die Trends, die Gefahren als Radfahrer und so weiter. Daraus wurde dann im Maker Thinking Prozess schließlich die Fahrradversicherung „freeyoubike“. Der Gründer war ursprünglich IT-Leiter in der Versicherung und ist jetzt über das Projekt zum Vorstand der neuen Versicherung, der freeyou.ag, geworden. Also kurz gesagt: Geschäftsidee entwickelt, dann Radtour und Maker Thinking Prozess - und am Ende eine neue Versicherung plus ein neuer Job für den, der die Idee hatte. Bei uns entwickelt also der Kunde selbst seine Methode und seine Lösungswege - durch von uns begleitete Experimente.
DMR: Gibt es auch Projekte, die mit Internet und Digitalisierung nichts zu tun haben?
Der Kreativitätsimperativ entsteht oft dadurch, dass ich mich als Unternehmen bedroht fühle und meine, ich muss was machen, weiß aber gar nicht genau wofür. Viele fangen deshalb mit der Technik an. Aber wenn ich als Kunde die Technik nicht verstehe und trotzdem damit anfange, gelange ich eher nicht zum Ziel. Wir gehen das anders an. Die Firma Hussel, Schokolade und Pralinen, war dabei ein schöner Auftrag. Die kamen mit sehr unterschiedlichen Fragestellungen. Darunter auch die, wie ein weniger invasiver Ladenbau aussehen könnte. Da überlegten wir zunächst, wie würde man so einen Laden heute gründen? Wie würde das Amazon wohl machen? Benötigt man eine Kasse und Waage, würde man überhaupt ein Ladenlokal mieten? So entstanden Design- und Präsentationsideen. Als Experiment haben wir einen existierenden Laden von Hussel geteilt, links der alte Stil, rechts der neue, um zu messen, was gefällt den Kunden besser. Hier ging es also darum, im laufenden Betrieb das Geschäftsmodellen umzustellen. Am Ende wurde der Testladen völlig umgestylt, das Konzept der Schokoladen-Tastings fest übernommen, die kostenintensiven Waagen- und Kassensysteme überdacht. Das Geschäft bekam neben dem neuen Look schließlich auch einen neuen Namen, „The New H“ und ist in Essen Limbecker Platz zu finden.
Maker Thinking, warum sollte und wie kann man das lernen?
So lang Strom da ist, wird uns das Thema Digitalisierung beschäftigen. Der Prozess wird immer und schneller weitergehen. Viele Kunden haben uns gesagt, sie würden gern lernen, was Maker Thinking ist. Im Arcadeon in Hagen, bieten wir deshalb jetzt monatlich Basis-Workshops an. Das Hotel selbst ist schon mal ein Case von uns, der im Maker Thinking entstand. Und deshalb heißt es dort auch nicht, „Wir treffen uns in einem Raum, Flipchart ist da“, sondern für uns gilt das Motto „Neues Denken braucht neue Räume“. Wir möchten so die unternehmerische Klassik für Innovation und Digitalisierung abholen und dabei nicht allzu verstörend sein. Dennoch sind auch Ausbrüche nötig, die den Rahmen des Hotels verlassen, um zu lernen und Blickrichtungen zu ändern.
Wie findet man im Vorhandenen des Unternehmens, den Schlüssel für seine Zukunft?
Rausgehen mit dem Unternehmen heißt ja eigentlich „zu sich gehen“. Wir fliegen ja nicht zum Mond mit denen, sondern zu ihrem Markt. Wir sehen, dass die Kunden das oft nicht vollumfänglich nutzen und ihr eigenes Geschäft auch nicht in dem Maße als Experimentierfeld nutzen wie sie das könnten. Also raus aus geschmacksneutralen Räumen und hinein in den Markt - der liegt aber meist nicht im Gebäude des Kunden. Das größte Lob am Ende wäre, wenn der Kunde sagt, „Ich habe das dann so und so gemacht“, und eben nicht, das hat mir Codecentric vorgeschlagen und dann haben wir das halt gemacht.
Wenn du Codecentric als eine geometrische Form beschreiben müsstest, welche wäre das?
Das ist eine Metapher, die auf unsere Arbeitsweise nicht passt. Die Frage nach der Form ähnelt dem Kundenwunsch, „Wir hätten als Lösung gern einen Golf, wir brauchen keinen Ferrari.“ Diese Metaphern sind aber genau das Problem. Wir wollen ja mit dem Maker Thinking etablierte Prozesse in Frage stellen, weil man sonst wieder nur in Modellhaftigkeit landet, statt in der Realität. Wir haben auch lang überlegt, was uns als Unternehmen besonders auszeichnet: Und das ist dieser positive Sog, den wir entwickeln. Nicht als Mahlstrom verstanden, der einen verschlingt, sondern ein Strom, von dem man sich im besten Sinn mitgerissen fühlt, um die Dinge anzugehen und eigene Ideen wirklich umzusetzen.